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Von Trinkgeld-Erpressung kann hierzulande nicht die Rede sein
Gestern las ich einen spannenden Bericht auf Süddeustche.de mit dem Titel „Die Trinkgeld-Erpressung“. Im Wesentlichen ging es darum, dass der Gast in Amerika inzwischen angehalten wird, bis zu 30% Trinkgeld zu geben, bei weniger als 20% wird von sehr unfreundlichen Reaktionen des Servicepersonals berichtet. Für ein Beispiel boshafter Rache von Hotelmitarbeitern wurde auf die Geschichte mit dem Urin in der Rasierflasche hingewiesen und die Andeutung, dass Schäden an dem eigenen Auto in der Hoteltiefgarage nicht von ungefähr kämen, ist auch relativ deutlich.
In dem Untertitel des Berichts liest man, dass Trinkgeld in Deutschland bisher noch eine Geste der Höflichkeit sei, jedoch festgestellt wird, wie der Trend aus Amerika zu uns rüberschwappt und immer stärker ein Selbstverständnis für das Anrecht auf ein üppiges Trinkgeld vorherrsche.
Nun weiß ich nicht genau, wie die derzeitige Situation in den USA ist (mein letzter Aufenthalt dort liegt schon wieder vier Jahre zurück), jedoch hat es mich verleitet, einmal meine Sicht auf die Dinge für die Situation in Deutschland einzubringen. Und damit auch deutlich wird, dass ich nicht nur aus der Sicht eines Gastes berichte, der sehr oft in Restaurants und Hotels unterwegs ist noch folgende Hinweise: Ich selbst kann als ehemaliger Betreiber von gastronomischen Betrieben davon berichten, wie sich Gehälter und die Arbeitsbedingungen in der Gastronomie in den letzten Jahren verändert haben. Engste Familienmitglieder arbeiten derzeit ebenfalls noch in der Gaststättenbranche. Darüber hinaus waren auch die beiden vorherigen Generationen in meiner Familie mit mehreren gastronomischen Betrieben in Hamburg und Berlin vertreten. Daher habe ich wahrscheinlich auch noch eine etwas „traditionelle“ Erwartungshaltung in Bezug auf Servicepersonal, die in der Regel heute nicht mehr erfüllt werden kann.
Aber warum ist das so?
Man sagte mir einmal BMW, als damaliges Symbol eines Luxuswagens, stünde für Bauer, Metzger, Wirt. Nun kenne ich mich nicht so gut in der Landwirtschaft aus, jedoch hat sich der wirtschaftliche Status der Metzger und Wirte sicherlich in den meisten Fällen dramatisch gewandelt. Viele Gastronomen leben „von der Hand in den Mund“, da sich die Rahmenbedingungen in den letzten 30 Jahren stark verändert haben. Eine Folge hieraus ist auch, dass die starke Einbindung von Mini-Jobbern inzwischen zur Normalität geworden ist. Damit wird bereits das erste Problem deutlich: Gelernte Restaurantfachkräfte findet man kaum noch, vielmehr treffen wir inzwischen auf Studenten, kaufmännische Angestellte oder medizinische Fachangestellte, die sich zu ihrem Lebensunterhalt noch etwas dazu verdienen wollen oder müssen. Die Zeiten, als das gesamte Servicepersonal aus Festangestellten bestand, sind Geschichte und wir (die Gäste) haben dies auch inzwischen akzeptiert. Denn eines ist sicher, der fleißige BWL-Student, der seine finanzielle Situation aufstocken will, hat nicht den mittel- oder langfristigen Ansatz ein Stammpublikum aufzubauen oder sich professionell mit gastronomischen Fachthemen und der richtigen Kommunikation mit dem Gast auseinanderzusetzen – Ausnahmen bestätigen hier selbstverständlich die Regel.
Aber was hat das jetzt mit dem Trinkgeld zu tun?
Ich kann mich noch an Zeiten in den 80er und Anfang der 90er Jahren erinnern, in denen ein Kellner zu seinem Basis-Bruttogehalt zusätzlich eine Provision auf Umsätze oberhalb eines Mindestumsatzes sowie sein Trinkgeld erhielt. Die Höhe des Trinkgeldes hängt zwar vom Charakter des jeweiligen gastronomischen Betriebes ab, jedoch ist ein realistischer Durchschnitt 5-8% - an guten Tagen sogar etwas mehr (Anmerkung: Von 20% und mehr sind wir Lichtjahre entfernt!)
In der Vergangenheit konnte so ein umsichtiger und freundlicher Servicemitarbeiter bis zu 3.000 DM zzgl. 2.000-3.000 DM Trinkgeld brutto verdienen. Somit war der wirtschaftliche Status eines solchen Mitarbeiters für damalige Verhältnisse sehr gut.
Dann veränderten sich jedoch die Bedingungen. Provisionen vielen weg und es wurde mehr und mehr zur „Normalität“, dass Servicekräfte ihr kassiertes Trinkgeld nicht mehr behalten durften. Gastronomische Ketten führten beispielsweise Bezahlstationen am Ausgang ein. Dies hatte zur Folge, dass der Beruf Restaurantfachmann/frau ein extrem schlecht bezahlter wurde und dies durch geringfügig Beschäftige, wie in anderen Branchen ebenfalls, aufgefangen wurde. Außerdem kursieren inzwischen unterschiedliche mündliche(!) Arbeitsanweisungen in der Branche. So werden alle Trinkgelder eingesammelt und „gerecht“ unter den Mitarbeitern aufgeteilt. Dies ist sicherlich noch eine der besseren Lösungen, führt jedoch dazu, dass das jeweilige eigene Engagement am Gast nicht mehr gefördert wird. In anderen Fällen dürfen Servicemitarbeiter wiederum ihr Trinkgeld behalten, sind jedoch zu einer prozentualen Abgabe des Umsatzes an den Chef verpflichtet, was durchaus zur Folge haben kann, dass man manchmal für seine Arbeit noch Geld von zu Hause mitbringen darf. Da nützt es leider auch oftmals nichts mehr, dass unser damaliger Finanzminister Hans Eichel im Jahr 2002 endlich die Besteuerung von Trinkgeldern abschaffte, was ich persönlich sehr begrüßt habe.
Stattdessen setzen wir uns mit dem Thema Mindestlohn auch in der Gastronomie auseinander. Egal, ob man nun ein Befürworter für den Mindestlohn ist oder nicht, hat dies zur Folge, dass die letzten Gastwirte, die das Trinkgeld zu 100% bei dem Servicemitarbeiter belassen, einen Wettbewerbsnachteil haben und zu neuen kreativen Modellen greifen, wie beispielsweise die Arbeitsstundenanzahl „offiziell“ zu reduzieren, um die Einhaltung des Mindestlohns nachweisen zu können. Klar ist, dass dann Dienstpläne nicht mehr dokumentiert werden dürfen.
Mein Fazit: Die Situation ist nicht so eindeutig einfach, wie es vielleicht in der erwähnten Berichterstattung erscheint und ich kann keineswegs die Tendenz zur Entwicklung von unzumutbaren Trinkgeldforderungen hierzulande erkennen. Vielmehr sollten wir uns darüber klar werden, welche Erwartungshaltung wir als Gast an die Branche stellen und immer dabei im Hinterkopf haben, welchen schwierigen Wettbewerbssituationen Gastronomen inzwischen ausgeliefert sind.
Wenn ich Trinkgeld gebe, mache ich dies nur noch entsprechend der Erfüllung meiner Erwartungshaltung, das bedeutet bei mir maximal 15% auf den Umsatz, aber auch in Einzelfällen keinen Cent. Wenn ich Trinkgeld gebe, frage ich immer vorher die Bedienung, ob sie das Trinkgeld behalten darf. Wenn nicht, bekommt Sie es separat von mir, auch wenn das zur Folge hat, dass ich es nicht auf die Rechnung setzen lassen kann. Trinkgeld ist ein Geschenk des Gastes und wenn ich nicht bereit bin, aus meiner eigenen Tasche meine Wertschätzung für sehr gute Leistungen zu zahlen, dann sollte ich lieber zu Hause bleiben, denn es gibt auch noch ein paar Exoten, die in erster Linie vom Trinkgeld leben.
Pregas ist Medienpartner des Hygiene-Netzwerks >>>